Onleihen und Onlesen
Ein eBook-Reader ist eigentlich eine feine Sache. Man hat ein handliches Stück Technik mit augenfreundlichem eInk-Display in Taschenbuchgröße, so dass selbst die Lektüre von mehrhundertseitigen Phantasyschmonzetten nicht mehr in Gewichtheben ausartet. Noch besser ist: das eBook erspart den Gang in die Bibliothek - dank "Onleihe": Etliche tausend Titel, von der Liebesschnulze bis zur Weltliteratur, vom Kochbuch bis zum Lebensratgeber, stehen zum sehr überschaubaren Preis der Jahresmitgliedschaftsgebühr der örtlichen Bücherei zur Verfügung. Allein: wo kämen wir bzw. die armen Verlage denn hin, wenn das alles so einfach wäre. Zum einen sind natürlich längst nicht alle Druckwerke in der Onleihe verfügbar, gerade Bestseller und Neuerscheinungen sucht man oft vergebens bzw. diese stehen nur in wenigen Exemplaren bereit. Moment, "wenige Exemplare"? Ja, ganz genau: Die eBooks sind kopiergeschützt und die Anzahl der verfügbaren Lizenzen begrenzt. Genau wie in der Real-Live-Bibliothek gilt: was der eine ausgeliehen hat, kann der nächste nicht ausleihen, sondern muss warten, bis das Buch zurückgegeben wurde. Zum anderen ist die Technik euphemistisch ausgedrückt haklig. Längst nicht jeder eBook-Reader kann für Online-Bibliotheken genutzt werden, und selbst mit den Modellen, die angeblich das komplizierte Procedere des Herunterladens und Lizenzierens (mittels Adobe-ID) beherrschen, läuft nicht alles rund. Davon zeugen nicht zuletzt ellenlange Support-Threads im Onleihe-Forum.
Und nun stelle man sich vor, man säße mit einem (Papier-)Buch auf dem Sofa, läse so vor sich her, und irgendwann - vielleicht nach zwanzig Minuten, vielleicht nach zwei Stunden - käme irgendwer ins Zimmer gestürmt, schlüge Dir das Buch aus der Hand, träte noch einmal drauf und verschwände wortlos wieder. Genau so ist es nämlich ums Lese-"Vergnügen" mit dem Tolino Page bestellt: aus heiterem Himmel stürzt die Lese-App ab, meldet schnöde "Ein Fehler ist aufgetreten" und vergisst natürlich auch die Seite, auf der man zuvor gewesen ist. Das ist mir nicht einmal passiert und auch nicht zweimal sondern nahezu bei jedem "ongeliehenem" Buch. Die alternative Lese-App im Betastadium stürzt zwar nicht ab, mag aber längst nicht jedes Buch öffnen und unterschlägt beim Seitenwechsel gern mal mehrere Zeilen oder auch ganze Absätze. Das vom Hersteller versprochene "Leseerlebnis" ist also auch da ein recht spezielles Vergügen. Mein bisheriges Lesegerät ist denn auch nur sehr knapp dem Schicksal entronnen, unter eine Dampfwalze geschleudert, in ein Thermit-Becken versenkt oder in die Mikrowelle gesteckt zu werden. (Hauptsächlich deshalb, weil keine Dampfwalze und kein Thermitbecken verfügbar sind und ich das Mistding vielleicht noch auf Ebay für einen Euro verschrottrolfe.)
Nun gibt es ja auch noch eine "Onleihe"-App, die auf normalen Smartphones und Tablets läuft. Allerdings kann sich diese im App-Store gerade einmal knapp 2 von 5 mögliche Sterne an die Datenbrust heften. Die Entwickler scheinen - leider erfolgreich - versucht zu haben, die Nachteile des Lesens von Papierbüchern mit den Nachteilen des Lesens am Monitor zu kombinieren: keine Kapitelnavigation, keine Möglichkeit, die Schriftgröße einzustellen, kein gar nichts - einfach nur die (Doppel-)Seite lieblos aufs Display geklatscht. Thanks, but no thanks.
Long terms short: Ein neuer Reader musste her, und es ist der PocketBook Touch Lux 5 für 120 € inkl. Pseudolederhülle geworden - mit Touchscreen, Blättertasten, Beleuchtung und einer Lese-App, die zumindest bislang noch nicht zu größeren Frusterlebnissen geführt hat. Vielleicht wird es also doch noch was mit der Digitalisierung des Lesekonsums.