Ersatzhandlungen und Leerlaufprozesse
Sonntag, 8. Januar 2006

Rührei mit Populismus

Die Kälte verschlug mich am Sonntag Vormittag in ein eigentlich zivil aussehendes Kaffeehaus nahe der Kreuzung Petersburger/ Greifswalder Straße. Ich bestellte Kaffee und Rührei und wartete, bis der - wie an seinen grauen Trainingshosen leider nur allzu deutlich erkennbare - inkontinente ältere Herr seine Frau in den Rollstuhl bugsiert und mit ihr zusammen das ungeräumige Etabilssement verlassen hatte. Der dann noch verbleibende einzige Gast war ein irgendwie ungesund aussehender Mittfünfziger auf einem Fensterplatz.

Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass auch dies kein echter Gast war, sondern ein Bekannter, Nachbar o.ä., denn während die Dame des Hauses die Rühreier briet, setzte sich der erkältete Wirt zu dem Mittfünfziger. Man sprach über dies und das. Der Wirt lobte die Arbeit der BSR, die ja mit der Beseitigung der Sylvesterreste doch recht gut voran gekommen sei. „Na, es gibt aber auch noch Straßen, wo es wie Sau aussieht,“ relativierte der Bekannte sogleich, „da sollten se mal die Arbeitslosen für einsetzen. Jeder zwei Stunden täglich, und im Nu ist das wieder sauber. Ist doch kein Wunder, dass es so viele gibt, denen geht`s viel zu gut. Da will ja keiner mehr arbeiten, die müssten auch mal was für ihre Rente tun.“

Oha. Insbesondere im Umfeld der Noch-Standorte der Unternehmen Samsung, JVC, O&K, Marlboro, Herlitz usw. dürften solcher Art Äußerungen sicherlich auf breite Zustimmung stoßen. Mal abgesehen davon, dass der ganze Dreck zwar vom Himmel gefallen ist, aber die Leute, die jetzt am Lautesten darüber meckern, vermutlich am stärksten zu seinem Entstehen beigetragen haben. Am liebsten hätte ich ihn gefragt, ob er seine abgeschossenen Raketenreste selbst entsorgt hätte, bzw. ob er immer erwarten würde, dass man hinter ihm herräumt.

Auch dem Wirt waren diese Ansichten zu heikel, und er wechselte das Thema. Nun ging es um die Umzugs- und Renovierungspläne des offensichtlich im Besitz eines gutdotierten Postens befindlichen Reichsarbeitsdienstbefürworters. So konnte ich erfahren, dass sich der Unsympat einen elektrischen Kamin ins Schlafzimmer zu stellen geruht, 470 Euro für 70 Quadratmeter bezahlt, einen Balkon mit Schatten Vormittags und Sonne nachmittags habe, obwohls ihm umgekehrt lieber wäre, und in seiner jetzigen Wohnung sehr viel mit Holz ausgebaut habe, und er jetzt mal abwarten wolle, was die Hausverwaltung für das Herausreißen der Einbauten verlange. „Wenn die sagen: 500 Euro, dann sag ich natürlich: ist gut, und dann habe ich keine Sorgen mehr.“

Wahrlich, ein Herzchen. An seinem Opel Vectra würde vermutlich ein Aufkleber „Eure Armut kotzt mich an“ prangen, wenn er nicht vielzu spießig für so etwas wäre.

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