Galeristen, Kreative und der Teilzeitkünstler
Leipzig-Plagwitz, Merseburger Straße 25. Beide - Stadtteil wie Haus - haben ihre beste Zeit wohl hinter sich, zumindest muss noch eine ganze Menge passieren, bis die Spuren des unpfleglichen Umgangs der DDR mit Altbausubstanz beseitigt sind. Andererseits fände sich in durchgestylten Altbauvierteln mit „top-renovierten Gründerzeitbauten inclusive Whirlpool und Tiefgarage“, wie sie in Berlin-Prenzlauer Berg oder sonstigen hochwertigen Wohngegenden zu finden sind, wohl kaum ein Hausbesitzer, der dazu bereit wäre, einen ganzen vierstöckigen Stuckaltbau - vom Balkonzimmer bis zum Etagenklo - für vierundzwanzig Stunden einer wilden Mischung von Videokünstlern, Bildhauern, Malern, Bastlern und Fotografen zur Verfügung zu stellen.
Wobei es mit 24 Stunden ja auch nicht getan ist, schließlich sollte auch die Auf- und Abbauzeit, gar nicht zu reden von der Vorbereitungs-, Planungs- und Begehungsphase, nicht unter den Tisch bzw. Mörtelsack fallen. (So much for stupid metaphors.) Aber eine Hand wäscht die andere, und das Künstlervolk musste eben diese, die Hand nämlich, selbst anlegen und noch einige Containerladungen Müll und Bauschutt entsorgen, bevor der mürbe Altbau zum temporären Musentempel werden konnte. (Was mir erspart blieb. In Berlin und nicht in Leipzig zu wohnen hat auch sein Gutes.)
Die Aussteller: die Haute Volée der Leipziger Off-Kunst-Szene, ach so, und ich auch - mit ein paar Fotos. Das Motto: „Phantome“ - sehr großzügig ausgelegt, aber niemals das Thema verfehlt. Eigentlich zu schade, um nach 24 Stunden wieder in Beliebigkeit und Anonymität zu versinken. Eine unbeschreibliche Vielfalt, ein beeindruckender Einfallsreichtum, der live erlebt hätte werden müssen und bei dem Fotos (hier und hier und hier) nur einen schwachen Abglanz darstellen.
Mein Raum: eine acht Quadreatmeter ehemalige Küche, noch mit Fettspritzern aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts an den türkisen Kacheln, null bis drei Tapetenlagen, und einem Dielenboden, in dem ein bedenkliches Loch klaffte, wo nicht noch mit Konsum-Weihnachtspapier trittschallgedämpfte Uraltbohlen lagen. Mein Projekt: Um die 50 meiner eigenwilligen Fotos nebst Aufkleberchen für die Betitelung an die Wände zu applizieren.
So hatte ich mich dann im voraus mit allem möglichen Zeug eingedeckt: Einer Familienpackung Textilklebeband, auch als 50m Panzerband bzw. Gaffa bekannt, 50g Stecknadeln, wobei deren Aufbewahrungskästchen nicht wirklich viel leerer aussah, nachdem ich ihm die zum Fotobefestigen benötigten 204 Stahlspritzer entnommen hatte, meinen chinesischen Plastebilligtacker nebst Munition und zwei Zwanzigmeterrollen 80cm breiten stabilen Packpapiers, das eigentlich zum Abdecken bei Malerarbeiten oder so gedacht ist.
„Ich stehe gerade bei Florian im Zimmer, der seinen Raum mit Gaffa tapeziert“ - ganz so, wie von Organisator Thilo mobiltelefonisch durchgegeben, war es dann zwar nicht, aber das silbrige Klebeband hat schon in beträchtlichem Umfang dazu gedient, etliche Meter des bräunlichen Papiers leidlich gerade und unzerknittert an Wänden und Boden zu fixieren - um mürbe Dielen zu kaschieren und von besagten 204 Stecknadeln durchbohrt zu werden, die Fotografien in wohldurchdachter Reihenfolge und mehr oder minder symmetrischen Dreierreihen tragend. Die liebevoll auf einer ältlichen Erika-Schreibmaschine getippten und nicht ganz so liebevoll mit einer Ikea-Kinderschere mit gelben Plastikgriffen zugeschnittenen Etiketten mit den Bildtiteln (nach Aussage der Betrachter das Tüpfelchen auf dem i) fanden ihren Platz auf den wundervollen Kacheln, wo vorhanden.
Schon um halb zwölf Nachts begann dann der Ansturm der Massen, der gerne bis drei, vier Uhr morgens anhielt; man sollte die Lepziger Kunstszene und das Interesse daran eben keinesfalls unterschätzen. Nein, ich habe nicht die ganze Zeit neben meinen Bildern gestanden. Zum einen habe ich versucht, in der naheliegenden Pension Plagwitz etwas Ruhe zu finden (was mir durch einen Spielmannszug, der auch dort „nächtigte“, nachhaltig vergällt wurde), zum anderen wollte ich natürlich auch sehen, was es sonst noch so zu sehen gab. (Viel, s.o.)
Der Samstag verlief bis etwa 14 Uhr verhältnismäßig ruhig und besucherarm; nichts Ungewöhnliches, das war 2002 auch so (da war ich beim Banale Grande mit diesen Bildern vertreten). Dafür ging es dann aber ab 14 Uhr noch einmal so richtig rund - Familientag; Ursula von der Leyen hätte wahrhaftig Rührungstränen in den Augen gehabt, wäre sie der Vielzahl von großzügig bekinderten Familien und hochschwangeren Frauen ansichtig geworden, die ihren mehr oder weniger kunstverständigen Nachwuchs mitgebracht hatten. Selbst der Kinosaal, in dem die unfassbar schlechten „Phantomas“-Verfilmungen mit Luis de Funéz gezeigt wurden, aber auch ein extrem zotiger Mel Brooks-Stummfilm (weshalb auch immer) und eine geradezu unterirdische Rock-Parodie auf das Phantom der Oper, erfreuten sich enormer Beliebtheit. Stellt sich die Frage, ob ein Film, bei dem sich die Tischplatte aufgrund einer Kollektiverektion hebt, so direkt kindgerecht ist - andererseits dürfte allerdings auch die „Gruseloma“ (Zitat eines Elternteils) nicht unbedingt der kindlichen Nachtruhe zuträglich gewesen sein (gleichwohl es sich dabei, nebenbei bemerkt, um meinen absoluten Favoriten aller Kunstwerke handelte).
Bis kurz nach eins nächtens riss der Besucherstrom dann nicht mehr ab; ich hatte mich dann zum Schluss noch zu meinen Bildern gestellt, in der vagen Hoffnung (aber auch aus Daffke), durch eine Kunstschlussverkaufsperformance („Lachhafte 2 € pro Bild!“) wenigstens etwas von meinen Unkosten hereinzukriegen. Drei Fotos verkauft. Naja, dafür signiert, und wer jetzt was haben will, muss 10 Euro latzen. So. Dann übermannte mich die Müdigkeit und das Bewusstsein, morgen ja doch wieder durch die türenknallenden, treppentrampelnden, flurschreienden Musikanten in der Pension in aller Frühe geweckt zu werden, und ich überließ meine Fotos (ihrem Schicksal).
Der Sonntag war dann anlassgerecht etwas trübwettrig; galt es doch, nun das Haus wieder in seinen Urzustand zurückzuversetzen. Einige hatten noch in der Nacht ihre Werke abmontiert; die Baustromversorgung war bereits gekappt; und um 12 ging das große Abbauen und Abtransportieren los. Auch ich verstaute dann meine Bilder wieder in der roten Sammelmappe, die Stecknadeln in einem eilends zusammen gepappten Tütchen und die 18 Meter Packpapier im Mülleimer. Hatte der Aufbau schon so seine drei Stunden gedauert, war das Spurenbeseitigen in einer dreiviertel Stunde getan.
Bleibt noch zu sagen, dass dies hoffentlich nicht die letzte 24-Stunden-Ausstellung der GalerieRieRiemann gewesen ist, und dass sich einmal wieder die Gelegenheit zu weiteren Bildaufhängungen meinerseits bietet. Und wenn im nächsten Jahr an einem anderen Ort in Leipzig wieder einen Tag lang Kunst veranstaltet wird, sei es auch allen mitlesenden Berlinern dringend ans Herz gelegt, sich in Zug oder Auto zu setzen und vorbeizuschauen. Man verpasst sonst etwas. Wirklich.