Ersatzhandlungen und Leerlaufprozesse

Wo, bitte, geht's nach Ägypten?

„Weltpremiere“ dröhnt das Plakat zur Ausstellung „Ägyptens versunkene Schätze“ im Martin-Gropius-Bau. Regenwetter und Provinzbesuch verleiteten mich Montag Vormittag zum Besuch dortselbst. Auch ein paar andere Leute hatten diese orginelle Idee, sodass vor dem Kulturgenuss erst einmal Wartezeit auf dem Programm stand: Vorm Gebäude, vor der Kasse, vor dem Einlass. (Wie sich später herausstellte, schmolzen die Schlangen zur Mittagszeit ab; Ungeduldigen sei ein Erscheinen gegen 13 Uhr empfohlen.)

Die üppige Ausstattung der Ausstellung mit Vorschusslorbeern lässt natürlich eine gewissen Erwartungshaltung aufkommen, die durch die strunzlangweiligen und trockenen Audiokommentare gleich etwas getrübt wird. Dafür, dass im wesentlichen beschrieben wird, was zu sehen ist, lohnt es nicht, 4 Euro zusätzlich abzudrücken und sich die ganze Zeit ein Zwitterwesen aus Fernbedienung und Mobiltelefon gegen die Ohrmuschel zu pressen.

Den Besucher umfängt zunächst eine Art Unterwasserathmosphäre, die Wände sind mit flächendeckenden Projektionen oder Fotos von Ausgrabungsstellen unter Wasser bedeckt; kleine Monitore zeigen Drei-Minuten-Schnipsel der Ausgrabungsarbeit und beschallen den Raum mit Tauchgeblubber. Zu sehen gibt es Sphinxe ohne Köpfe, Köpfe ohne Sphinx drunter, Schmuck, Münzen, Hausrat, diverses Equipment für okkulte Rituale und Herrscherdarstellungen vom Westentaschenformat bis zum Fünfmetermonster.

So schieben sich denn die Scharen an den Exponanten mit und ohne Vitrine drumherum vorbei, bestaunen Kopten und Kästchen, Hieroglyphen und Dortoglyphen, und beachtlich ist es natürlich schon, was Cheftaucher und Unterwasserarchäologe Franck Goddio nebst Team da den trüben Fluten des Nildeltas entrissen hat. Allein: Der die Ausstellung begleitende Bohei, was für eine Sensation dies doch sei, scheint überzogen. Man muss wohl im Vorfeld die Fernsehdokumentation zur Ausgrabung gesehen haben, um die präsentierten Exponate gebührend würdigen zu können; ohne dieses Wissen ist es „Yet another Ägyptenausstellung“. Von der Action, die angeblich geboten werde, von der Mischung aus Ausgrabungsabenteuer und Altertumsdarstellung, mit der die Berliner Zeitung für die Ausstellung wirbt, ist jedenfalls nicht viel zu merken. Und sehenswertere Exponate aus der Pharaonenzeit gibt es im Alten Museum allemal zu bestaunen.

„Ägyptens versunkene Schätze“: zwar nicht unbedingt viel Lärm um nichts, aber doch mehr Schein als Sein.

Galeristen, Kreative und der Teilzeitkünstler

Leipzig-Plagwitz, Merseburger Straße 25. Beide - Stadtteil wie Haus - haben ihre beste Zeit wohl hinter sich, zumindest muss noch eine ganze Menge passieren, bis die Spuren des unpfleglichen Umgangs der DDR mit Altbausubstanz beseitigt sind. Andererseits fände sich in durchgestylten Altbauvierteln mit „top-renovierten Gründerzeitbauten inclusive Whirlpool und Tiefgarage“, wie sie in Berlin-Prenzlauer Berg oder sonstigen hochwertigen Wohngegenden zu finden sind, wohl kaum ein Hausbesitzer, der dazu bereit wäre, einen ganzen vierstöckigen Stuckaltbau - vom Balkonzimmer bis zum Etagenklo - für vierundzwanzig Stunden einer wilden Mischung von Videokünstlern, Bildhauern, Malern, Bastlern und Fotografen zur Verfügung zu stellen.

Wobei es mit 24 Stunden ja auch nicht getan ist, schließlich sollte auch die Auf- und Abbauzeit, gar nicht zu reden von der Vorbereitungs-, Planungs- und Begehungsphase, nicht unter den Tisch bzw. Mörtelsack fallen. (So much for stupid metaphors.) Aber eine Hand wäscht die andere, und das Künstlervolk musste eben diese, die Hand nämlich, selbst anlegen und noch einige Containerladungen Müll und Bauschutt entsorgen, bevor der mürbe Altbau zum temporären Musentempel werden konnte. (Was mir erspart blieb. In Berlin und nicht in Leipzig zu wohnen hat auch sein Gutes.)

Die Aussteller: die Haute Volée der Leipziger Off-Kunst-Szene, ach so, und ich auch - mit ein paar Fotos. Das Motto: „Phantome“ - sehr großzügig ausgelegt, aber niemals das Thema verfehlt. Eigentlich zu schade, um nach 24 Stunden wieder in Beliebigkeit und Anonymität zu versinken. Eine unbeschreibliche Vielfalt, ein beeindruckender Einfallsreichtum, der live erlebt hätte werden müssen und bei dem Fotos (hier und hier und hier) nur einen schwachen Abglanz darstellen.

Mein Raum: eine acht Quadreatmeter ehemalige Küche, noch mit Fettspritzern aus den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts an den türkisen Kacheln, null bis drei Tapetenlagen, und einem Dielenboden, in dem ein bedenkliches Loch klaffte, wo nicht noch mit Konsum-Weihnachtspapier trittschallgedämpfte Uraltbohlen lagen. Mein Projekt: Um die 50 meiner eigenwilligen Fotos nebst Aufkleberchen für die Betitelung an die Wände zu applizieren.

So hatte ich mich dann im voraus mit allem möglichen Zeug eingedeckt: Einer Familienpackung Textilklebeband, auch als 50m Panzerband bzw. Gaffa bekannt, 50g Stecknadeln, wobei deren Aufbewahrungskästchen nicht wirklich viel leerer aussah, nachdem ich ihm die zum Fotobefestigen benötigten 204 Stahlspritzer entnommen hatte, meinen chinesischen Plastebilligtacker nebst Munition und zwei Zwanzigmeterrollen 80cm breiten stabilen Packpapiers, das eigentlich zum Abdecken bei Malerarbeiten oder so gedacht ist.

„Ich stehe gerade bei Florian im Zimmer, der seinen Raum mit Gaffa tapeziert“ - ganz so, wie von Organisator Thilo mobiltelefonisch durchgegeben, war es dann zwar nicht, aber das silbrige Klebeband hat schon in beträchtlichem Umfang dazu gedient, etliche Meter des bräunlichen Papiers leidlich gerade und unzerknittert an Wänden und Boden zu fixieren - um mürbe Dielen zu kaschieren und von besagten 204 Stecknadeln durchbohrt zu werden, die Fotografien in wohldurchdachter Reihenfolge und mehr oder minder symmetrischen Dreierreihen tragend. Die liebevoll auf einer ältlichen Erika-Schreibmaschine getippten und nicht ganz so liebevoll mit einer Ikea-Kinderschere mit gelben Plastikgriffen zugeschnittenen Etiketten mit den Bildtiteln (nach Aussage der Betrachter das Tüpfelchen auf dem i) fanden ihren Platz auf den wundervollen Kacheln, wo vorhanden.

Schon um halb zwölf Nachts begann dann der Ansturm der Massen, der gerne bis drei, vier Uhr morgens anhielt; man sollte die Lepziger Kunstszene und das Interesse daran eben keinesfalls unterschätzen. Nein, ich habe nicht die ganze Zeit neben meinen Bildern gestanden. Zum einen habe ich versucht, in der naheliegenden Pension Plagwitz etwas Ruhe zu finden (was mir durch einen Spielmannszug, der auch dort „nächtigte“, nachhaltig vergällt wurde), zum anderen wollte ich natürlich auch sehen, was es sonst noch so zu sehen gab. (Viel, s.o.)

Der Samstag verlief bis etwa 14 Uhr verhältnismäßig ruhig und besucherarm; nichts Ungewöhnliches, das war 2002 auch so (da war ich beim Banale Grande mit diesen Bildern vertreten). Dafür ging es dann aber ab 14 Uhr noch einmal so richtig rund - Familientag; Ursula von der Leyen hätte wahrhaftig Rührungstränen in den Augen gehabt, wäre sie der Vielzahl von großzügig bekinderten Familien und hochschwangeren Frauen ansichtig geworden, die ihren mehr oder weniger kunstverständigen Nachwuchs mitgebracht hatten. Selbst der Kinosaal, in dem die unfassbar schlechten „Phantomas“-Verfilmungen mit Luis de Funéz gezeigt wurden, aber auch ein extrem zotiger Mel Brooks-Stummfilm (weshalb auch immer) und eine geradezu unterirdische Rock-Parodie auf das Phantom der Oper, erfreuten sich enormer Beliebtheit. Stellt sich die Frage, ob ein Film, bei dem sich die Tischplatte aufgrund einer Kollektiverektion hebt, so direkt kindgerecht ist - andererseits dürfte allerdings auch die „Gruseloma“ (Zitat eines Elternteils) nicht unbedingt der kindlichen Nachtruhe zuträglich gewesen sein (gleichwohl es sich dabei, nebenbei bemerkt, um meinen absoluten Favoriten aller Kunstwerke handelte).

Bis kurz nach eins nächtens riss der Besucherstrom dann nicht mehr ab; ich hatte mich dann zum Schluss noch zu meinen Bildern gestellt, in der vagen Hoffnung (aber auch aus Daffke), durch eine Kunstschlussverkaufsperformance („Lachhafte 2 € pro Bild!“) wenigstens etwas von meinen Unkosten hereinzukriegen. Drei Fotos verkauft. Naja, dafür signiert, und wer jetzt was haben will, muss 10 Euro latzen. So. Dann übermannte mich die Müdigkeit und das Bewusstsein, morgen ja doch wieder durch die türenknallenden, treppentrampelnden, flurschreienden Musikanten in der Pension in aller Frühe geweckt zu werden, und ich überließ meine Fotos (ihrem Schicksal).

Der Sonntag war dann anlassgerecht etwas trübwettrig; galt es doch, nun das Haus wieder in seinen Urzustand zurückzuversetzen. Einige hatten noch in der Nacht ihre Werke abmontiert; die Baustromversorgung war bereits gekappt; und um 12 ging das große Abbauen und Abtransportieren los. Auch ich verstaute dann meine Bilder wieder in der roten Sammelmappe, die Stecknadeln in einem eilends zusammen gepappten Tütchen und die 18 Meter Packpapier im Mülleimer. Hatte der Aufbau schon so seine drei Stunden gedauert, war das Spurenbeseitigen in einer dreiviertel Stunde getan.

Bleibt noch zu sagen, dass dies hoffentlich nicht die letzte 24-Stunden-Ausstellung der GalerieRieRiemann gewesen ist, und dass sich einmal wieder die Gelegenheit zu weiteren Bildaufhängungen meinerseits bietet. Und wenn im nächsten Jahr an einem anderen Ort in Leipzig wieder einen Tag lang Kunst veranstaltet wird, sei es auch allen mitlesenden Berlinern dringend ans Herz gelegt, sich in Zug oder Auto zu setzen und vorbeizuschauen. Man verpasst sonst etwas. Wirklich.

Berlins Biergartenschau

Das Stadtmagazin Tip listet "Berlins 140 beste Biergärten" auf - ist die Metropole wirklich schon so versoffen, dass jeder Vor- gleich ein Biergarten ist, oder hat die Redaktion auch auf den Gehweg gestellte Tische und Bänke mitgezählt, so dass jede Friedrichshainer (Touristen-)Szenekneipe zum Biergarten wird? Unklar, das. Aber, 140 Biergärten, das will doch sowieso keiner lesen. Da muss man halt selbst testen.

Stadtstrand | Mühlenstraße/Oberbaumbrücke: Der Stadtstand ist eine etwa 30 mal 30 Meter große, sandstandsandausgestreute Fläche neben der unguten Großraumdisse "Speicher". Entsprechend prollverdächtig und mobiltelefonierfreudig ist dann auch das Publikum dortselbst; der Zugang zum Stadtstrand ist zudem so gestaltet, dass man selbst dem wenig schmeichelhaften Verdacht ausgesetzt wird, gerade Gast besagten Etablissements mit angeschlossener Muckibude gewesen zu sein. Zum Hefeweizen für 3,20 wird allen Ernstes ein dünnwandiger 0,5l-Plastikbecher mit der zweifelhaften Ästhetik von Waschmittelportionierern aus den 80er Jahren gereicht. Trotz Spreeblicks: nicht empfehlenswert.

Strandbar Stralau | Tunnelstraße: In Liegestühlen lagernd, schweift der Blick über die Dampferanlegestelle der weißen Flotte zum Allianz-Tower, hinter dem gerade die Sonne versinkt. Von Zeit zu Zeit rumpelt eine S-Bahn über die Elsenbrücke. Bänke und Stühle stehen angenehm weit auseinander. Alles könnte so schön sein, wenn nicht das Barpersonal aus unerfindlichen Gründen den Ghettoblaster auf dem Bardach zwecks Gartenbeschallung auf den üblen Spreeradio-Dudelfunk eingestellt hätte, das Bier nicht lauwarm wäre und nicht nur Becks und Lidl-Handelsmarkenpils zur Auswahl stünden. Sei noch angemerkt, das dies ein Biergarten nach dem Geschmack Ursula von der Leyens wäre, denn mindestens fünf zeugungsfreudige Stralauer Jungfamilien lüfteten hier das vielköpfige Gespons aus. Nicht empfehlenswert.

Orange Orange | Karl-Marx-Allee: Unter dem Sand das Pflaster. Direkt in der Einflugsschneise aus Marzahn, Hellersdorf und Lichtenberg gelegen, lockt dieser Großraumbiergarten ein entsprechend durchwachsenes, junges Publikum an. Es gibt frierende Palmen, ein, zwei Strandkörbe und etliche Bierzelttische und -bänke. Der Hunger lässt sich mit Salat und Grillgut stillen, das Hefeweizen kostet 2,80. Die Beschallung übernimmt entweder die Karl-Marx-Allee bzw. dort lärmende Lkws und Einsatzwagen, später am Ebend auch ein DJ, der akzeptable elektronische Klänge zu Gehör bringt. Bedingt empfehlenswert.

Cassiopeia-Biergarten | Revaler Straße: Auf dem etwas unübersichtlichen Gelände des ehemaligen Rrreichsbahnausbeserrrungswerrrkes Warrrschauerr Strrraße liegt der einzige Biergarten, in dem man erschütternd gut aussehenden, sportlichen jungen Menschen beim Freeclimben zuschauen kann. Diesem Behufe dient nämlich ein übrig gebliebener bizarrer Turmbunker, an dem nunmehr fachkundig geklettert werden darf. Die Kletterer zischen ihr Sportgetränk dann hinterher zwischen jungen, schönen, trendigen Menschen, die der Phantasie eines Seriendrehbuchschreibers entsprungen zu sein scheinen. Passend dazu die Reggae-Musikberieselung, für die ein iPod über einen UKW-Adapter mit einem Gehettoblaster kabellos kommuniziert. Das Hefeweizen kostet 2,80 und ist zu warm, das Publikum zu cool. Bedingt empfehlenswert.

Heinz Minki | Schlesische Straße: Sicherlich gibt es irgend eine langweilige Erklärung dafür, weshalb das HM so heißt, wie es heißt. Interessanter ist aber, dass versteckt hinter einem quaderförmigen Ziegelbau direkt an der Grenze zwischen Treptow und Kreuzberg ein aparter, rundherum abgeschlossener, baum- und strauchbewachsener Biergarten liegt, den noch nicht das traurige Schicksal des Clubs der Visionäre ereilt hat, permanent und hoffnungslos mit Szenemenschen überfüllt zu sein. Auf zwei Ebenen lässt es sich hier auf klassischem Gusseisengartenmobiliar hervorragende Pizza, akzeptable Bratwurst und Hefeweizen für 3,10 verzehren. Wer ein idyllisch-ländlicheses Ausflugslokal mitten in Berlin sucht, hat es im Heinz Minki gefunden. Sehr empfehlenswert.

FaF-Biergarten: Alle Jahre wieder öffnet um Ostern herum der lauschige Biergarten neben dem schönen Filmtheater am Friedrichshain. Unter Linden sitzt man entspannt vor Hefeweizen für 2,80 und Bratwurst, Zwiebelkuchen oder Frischkäsestulle, wartet, bis der Film beginnt oder hängt einfach so ab, erfreut sich an der Beschallung, bei der gerne auch mal ein kompletes Massive Attack-Album abgespielt wird. Für Ursula von der Leyen und Kinder gibt es neuerdings auch allerlei Sitzgelegenheiten. Im Gegensatz zum obercoolen Schönbrunn geht man hier her, um sich einen schönen Abend zu machen, und nicht, um gesehen zu werden. Seit 10 Jahren mein Lieblingsbiergarten. Sehr empfehlenswert.

Für eine Hand voll Wodka

Powerpoint ist etwas für "nerdige Wissenschaftler, BWLer und Marketingmenschen", die sich so „untereinander überhaupt nur verständigen können". Karaoke ist etwas für überdrehte Asiaten, die damit so richtig die Sau rauslassen können (inzwischen auch in Nordkorea). Und beides zusammen ist ein innovatives "Apès-Bunny-Format", das es in die Berichterstattung von Spiegel online, Berliner Zeitung und taz geschafft hat und sogar schon zum Gegenstand wissenschaftlicher Studien herangereift ist.

Genug Unternehmen sind so unvorsichtig, Ihre Präsentationen vollkommen offen zugänglich im Internet aus der Hand zu verlieren. Wessen Kernkompetenz im Clipartauswählen und Listenpunktsetzen besteht, der macht die Rechnung ohne Google und glaubt, sein internes, vertrauliches Dokument würde nicht gefunden, weil es ja nicht verlinkt ist. 31.800 Ergebnisse des Suchmaschinenmolochs sprechen da aber eine ganz andere Sprache. Und bilden den Nährboden für eine originelle Freizeitveranstaltung.

Die sieht dann so aus: Wie bei der ZDF-Hitparade oder der Wahl zur Weinkönigin gibt es eine Jury, ein Publikum und Titelbewerber. Die findigen Riesenmaschinisten haben besonders schöne, absurde und unverständliche Dokumente zusammengetragen, mit einer Skala von leicht (1 Stern) bis superschwer (10 Sterne) bewertet und den Titel nebst mehr oder minder aussagekräftiger Inhaltsangabe auf einem Programmzettel gesetzt. Wer mutig ist, trägt seinen Namen und die bevorzugte Wahnsinnspräsentation ein und findet sich kurz darauf auf einem zur Bühne umfunktionierten Couchtisch wieder, wo er dann, von einem großzügig eingeschenkten Gratiswodka befeuert, mindestens 5 Minuten dem gestalterischen Wüten von Meeresbiologen, Wirtschaftsförderern, Volksschullehrern oder Humortheoretikern ausgesetzt ist und aus dem Stegreif drauflospräsentiert.

Die Ergebnisse sind durchweg originell. Über ein abseitiges Thema ohne Vorbelastiung durch Hintergrundwissen zu referieren, selbst nicht zu wissen, was auf der nächsten Folie steht, erbarmunglos vorwärts gepeitscht von der verinnenden Zeit, und mehr zu leisten als nur die Listenpunkte abzulesen: Eine Herausforderung, die die Teilnehmer zur Freude des Publikums so gut bewältigt haben, dass am Ende nicht drei, sondern acht Preise vergeben wurden.

Bei meinem Parforceritt durch eine Vier-Stern-Päsentation zum Thema Humor und Didaktik galt es, vollkommen überfrachtete Folien zu meistern und innerhalb von zwei Sekunden das wesentliche aus Schätzungsweise einer DIN A4-Seite Text in Normalgröße herauszupicken. Na, oder halt überhaupt irgend etwas. Zur Erholung war dann meist schon die folgende Folie wieder von jämmerlicher Sprödheit und Inhaltsleere (unverständliche Pfeildiagramme, abgetippte Bartwitze). Die Schlusspointe bestand darin, dass es keine gab: Die Präsentation hörte einfach auf. Immerhin, vierter Platz.

Wer also die Vielfalt des Medienschaffens von Vertrieblern erkunden, schon immer mal etwas über die China-Kontakte der IHK Bochum erfahren oder "Farbenfrohe Vollweiber an der Volksschule" kennen lernen wollte, hat am gestrigen Mittwoch eine wundervolle Gelegenheit dazu leider verpasst. Glücklicherweise liegen ja noch 31.792 unverwurstete Präsentationen im Internet herum. Genug Rohstoff für das nächste, hoffentlich bald stattfindende PPT-Karaoke.

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