Ersatzhandlungen und Leerlaufprozesse
Freitag, 11. Oktober 2002

Rauchen

Das Rauchen ist, wenn auch nicht unbedingt gesundheits- und lebensfördernd, so doch auf jeden Fall eine kommunikative Tätigkeit, die das Schließen von Freundschaften erleichtert und "Übereinkünfte ohne Worte" herbeiführt. Neidvoll blicke ich als Nichtraucher auf die vielen fröhlichen Menschen, die sich zunächst einfach nur auf der Straße begegnet sind, und wo sich aus einem dahingerotzten "Hastemal ne Fluppe" aus der Anonymität unserer Großstädte eine dauerhafte Bindung entwickelte. Wildfremde Menschen werden vom feinen Tabakrauch aneinandergeschweißt, wenn sie sich zum Zigarettenkonsum zu zehnt auf den Balkon zurückziehen. Und wie groß ist erst der Zusammenhalt, wenn der Balkon in Folge der Überlastung mit Rauchern und Bierkästen in die Tiefe stürzt! So viel Verbundenheit lernt man als Nichtraucher gar nicht kennen - es sei denn, man stand gerade unter dem Balkon.

Doch darüber hinaus zeigt die Tätigkeit des Zigarettenrauchens vor allen Dingen, in welch hohem Maße die Raucher ihr Verhalten aufeinander abstimmen. In schlecht belüfteten Lokalitäten, beispielsweise Eisenbahn-Raucherabteilen oder dem Berliner Café "San Remo Upflamör", ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein faszinierendes Phänomen zu beobachten, sofern im Kreise der Raucher auch ein Nichtraucher zu finden ist. Das Phänomen könnte betitelt werden mit "Einer raucht immer". Nachfolgende Abbildung verdeutlicht den Vorgang.

Wir nehmen drei Raucher (R1, R2, R3) sowie einen Nichtraucher (N). Sobald R1 mit seiner "West" fertig ist, steckt sich mit allerhöchstens zweiminütiger Verzögerung R2 seine "Pall Mall" an, und wenn diese zu einem Aschehäuflein zusammengeschrumpft ist, greift R3 in die Hemdentasche, um sich mit dem Zippo-Benzinfeuerzeug die wohlverdiente "Gauloise" anzustecken. Ist von dem französischen Tabakstäbchen nichts mehr übrig, ist es Zeit für die nächste West von R1 und so weiter - ein, wie gesagt, faszinierendes Phänomen. Wie die Zahnräder einer schweizer Präzisionsuhr ineinandergreifen, so vereinigen hier sich drei Individuen zu einem einzigen Kettenraucher.

Nirgendwo sonst lässt sich ein so schönes Schauspiel über Stunden hinweg - im Zweifelsfalle bis zur Bewusstlosigkeit des Nichtrauchers - beobachten. Nicht beim Torteessen (hier ist eher eine Gleichzeitigkeit des Konsumvorgangs gegeben, bei dem auch die Pausenzeiten mehr oder minder parallel, aber auf keinen Fall so fein abgestimmt sind); und auch nicht beim Trinken (und wenn, dann ist dies für nicht am Alkoholkonsum beteiligte Außenstehende dann doch von weniger Interesse und führt höchstens zu erhöhtem Kellner-Gerenne).

Allerhöchstens, wenn mit gewissen Grünpflanzenextrakten angereicherte selbstgedrehte Zigaretten konsumiert werden, lässt sich eine vergleichbare Kollektivität des Tuns beobachten, aber diese wird ja gewollt herbeigeführt und lässt sich mit der ganz unbewusst entstehenden Rauchkette beim Genuss normaler Zigaretten gar nicht vergleichen.

Ich musste jedenfalls am nächsten Morgen meinen Pullover geradezu mit einem spitzen Stock in die Waschtrommel bugsieren, so hatte sich das von R1, R2 und R3 in die Luft geblasene Nikotin in den Fasern festgesetzt. Elende Pafferei.

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