Ersatzhandlungen und Leerlaufprozesse
Samstag, 23. November 2002

Plastikwelt (Achtung, Polemik)

Ich gestehe. Ab und zu konsumiere ich tatsächlich das Programm von "Super RTL". "Sponge Bob" ist streckenweise recht unterhaltsam - das Bizarrste an der würdelosen Bertelsmann-Abspielstation sind aber die Werbeblöcke.

Das Kalkül, als Marktdifferenzierungsstrategie auf absolute Kindgerechtheit des Programms zu setzen, scheint aufzugehen. Die Werbezeit birst vor Spots, in denen die üblichen Verdächtigen auf naturgemäß infantilste Weise ihr schrillbuntes Plastikgeraffel anpreisen. Geklontes Gespons fummelt in original US-amerikanischen Wohlstandsvillen schlecht synchronisiert an geschmacklosen Gerätschaften herum. Klassische Rollenklischees werden bedient, dass es nur so kracht: Mädchen spielen mit Puppen, Jungen mit Modelleisenbahnen, Autos, die sich in blöde Kampfroboter verwandeln, und zuweilen lächelt eine brünette bis blonde, gertenschlanke, ausgeglichene Mutter durchs Bild. Es ist nicht zum Aushalten.

Den Gipfel der abstoßenden Plastikwelt für die lieben Kleinen stellt derzeit ein kommodengroßes Etwas dar, das natürlich in den grellsten Farben daher kommt und von einem US-Spielzeugkonzern verbrochen wird. Das kommodengroße Etwas macht den weiblichen Nachwuchs von Kindesbeinen an mit der späteren Rolle als treusorgende Hausfrau und Mutter vertraut und beinhaltet eine Waschmaschine, einen Mikrowellenherd, einen Kühlschrank, ein Bügelbrett nebst -eisen sowie Töpfe und Pfannen. Alles natürlich auf etwa ein Fünftel der Originalgröße reduziert, funktionslos und einen so billigen und minderwertigen Eindruck vermittelnd, dass einem die Galle hoch kommt. Dass sich im Plastikkühlschrank Plastiklebensmittel befinden, die mit Plastikmesser und Plastikgabel von Plastiktellern verzehrt werden können, ist nur mehr pervers zu nennen.

Erschütternd ist aber auch, welche Wandlung der einst ehrwürdige dänische Spielzeughersteller vollzogen hat, der sich einst auf multifunktional einsetzbare Bauklötzchen mit Noppen beschränkte. Inzwischen schäme ich mich dafür, damals (vor 20 Jahren) selbst mit eben diesen Klötzchen gespielt zu haben. Dem Zeitgeist hinterherhechelnd, gibt es zu allem, womit Unterhaltungsschänder gerade Kohle machen, das passende Bastelset. Den Beitrag des dänischen Weltkonzerns zum Untergang der abendländischen Kultur stellt derzeit das komplette Harry-Potter-Set dar, das zwei kleine Jungen mit Pisspottfrisur im Werbespot präsentieren. Von der nickelbrillenbewährten Spielfigur mit dem Lexikon-Gesichtsausdruck (immer wieder zum Nachschlagen) über das beknackte Flugmobil, von dem aus der Teufelsbraten seine Umwelt traktiert bis zur kurbelbedienten Zeitschleuder oder was-weiß-ich können die verwöhnten Blagen die auf Kinoleinwand, DVD und Konsolenspiel konsumierten Begebenheiten nachvollziehen.

Dem einsamen Einzelkind wird eine Kinderpuppe "inklusive Hochstuhl" namens Sweet Silly oder so ähnlich schmackhaft gemacht. Die Kinderdarstellerin im Spot herzt hierzu mit geistlosem Gesichtsausdruck an dem kindchenschemaentsprechenden Weich-PVC-Haufen herum. Ihre größeren Schwestern können sich hingegen mit der Miniaturausgabe des neuen VW-Busses auseinandersetzen, mit dem die bekannteste Anziehpuppe der Welt durchs Kinderzimmer gefahren werden kann.

Ein anderer Hersteller, auch schon immer am Puls der Zeit, bietet derzeit allen Ernstes ein Katastrophen-Einsatz-Set mit gasmaskenbewehrten Feuerwehrmännern, Biomüllfässern und brennenden Häuserruinen an. Vermutlich gibt es demnächst auch das Original-Golfkriegsset und zum Dazukaufen den bärtigen Oberschurken und Schorsch Dabbeljuh für je 11 Euro 09 Cent.

Hahnebüchen hingegen ist es, dass ein Schokoladenfabrikant mit italienischem Namen und einer sicheren Hand für himmelsschreiend dämliche Fernsehspots und geschmacklose Produktverpackungen die Merchandisingrechte am Herrn der Ringe zugesprochen bekommen hat. J.R.R. Tolkien dürfte im Grabe rotieren, sähe er, dass seine Gestalten zu kümmerlichen Witzfiguren verkommen, die sich, scheel umblickend, in jedem 7. Ei verschwinden. Aber eine Gesellschaft, die von einem Kanzlerimitiator neuvertonte spanische Retortenmusik auf Platz eins der Singlecharts kauft, wird wohl auch palettenweise Schoko-Eier aus dem Supermarkt schleppen, um endlich Frodo der Sammlung hinzufügen zu können.

Das Ende der synapsenzerätzenden Konsumberieselung bilden übrigens Vorschauen auf solch anspruchsvolle Unterhaltungssendungen wie Traumhochzeit oder Peter Steiners Komödienstadl. Im Vergleich zur grellbunten geballten Geschmacklosigkeit der Kinder-Konsumprodukte stellen diese jedoch nachgerade eine Erholung dar.

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