Plastikwelt (Achtung, Polemik)
Ich gestehe. Ab und zu konsumiere ich tatsächlich das Programm von "Super RTL". "Sponge Bob" ist streckenweise recht unterhaltsam - das Bizarrste an der würdelosen Bertelsmann-Abspielstation sind aber die Werbeblöcke.
Das Kalkül, als Marktdifferenzierungsstrategie auf absolute Kindgerechtheit des Programms zu setzen, scheint aufzugehen. Die Werbezeit birst vor Spots, in denen die üblichen Verdächtigen auf naturgemäß infantilste Weise ihr schrillbuntes Plastikgeraffel anpreisen. Geklontes Gespons fummelt in original US-amerikanischen Wohlstandsvillen schlecht synchronisiert an geschmacklosen Gerätschaften herum. Klassische Rollenklischees werden bedient, dass es nur so kracht: Mädchen spielen mit Puppen, Jungen mit Modelleisenbahnen, Autos, die sich in blöde Kampfroboter verwandeln, und zuweilen lächelt eine brünette bis blonde, gertenschlanke, ausgeglichene Mutter durchs Bild. Es ist nicht zum Aushalten.
Den Gipfel der abstoßenden Plastikwelt für die lieben Kleinen stellt derzeit ein kommodengroßes Etwas dar, das natürlich in den grellsten Farben daher kommt und von einem US-Spielzeugkonzern verbrochen wird. Das kommodengroße Etwas macht den weiblichen Nachwuchs von Kindesbeinen an mit der späteren Rolle als treusorgende Hausfrau und Mutter vertraut und beinhaltet eine Waschmaschine, einen Mikrowellenherd, einen Kühlschrank, ein Bügelbrett nebst -eisen sowie Töpfe und Pfannen. Alles natürlich auf etwa ein Fünftel der Originalgröße reduziert, funktionslos und einen so billigen und minderwertigen Eindruck vermittelnd, dass einem die Galle hoch kommt. Dass sich im Plastikkühlschrank Plastiklebensmittel befinden, die mit Plastikmesser und Plastikgabel von Plastiktellern verzehrt werden können, ist nur mehr pervers zu nennen.
Erschütternd ist aber auch, welche Wandlung der einst ehrwürdige dänische Spielzeughersteller vollzogen hat, der sich einst auf multifunktional einsetzbare Bauklötzchen mit Noppen beschränkte. Inzwischen schäme ich mich dafür, damals (vor 20 Jahren) selbst mit eben diesen Klötzchen gespielt zu haben. Dem Zeitgeist hinterherhechelnd, gibt es zu allem, womit Unterhaltungsschänder gerade Kohle machen, das passende Bastelset.
Den Beitrag des dänischen Weltkonzerns zum Untergang der abendländischen Kultur stellt derzeit das komplette Harry-Potter-Set dar, das zwei kleine Jungen mit Pisspottfrisur im Werbespot präsentieren. Von der nickelbrillenbewährten Spielfigur mit dem Lexikon-Gesichtsausdruck (immer wieder zum Nachschlagen) über das beknackte Flugmobil, von dem aus der Teufelsbraten seine Umwelt traktiert bis zur kurbelbedienten Zeitschleuder oder was-weiß-ich können die verwöhnten Blagen die auf Kinoleinwand, DVD und Konsolenspiel konsumierten Begebenheiten nachvollziehen.
Dem einsamen Einzelkind wird eine Kinderpuppe "inklusive Hochstuhl" namens Sweet Silly oder so ähnlich schmackhaft gemacht. Die Kinderdarstellerin im Spot herzt hierzu mit geistlosem Gesichtsausdruck an dem kindchenschemaentsprechenden Weich-PVC-Haufen herum. Ihre größeren Schwestern können sich hingegen mit der Miniaturausgabe des neuen VW-Busses auseinandersetzen, mit dem die bekannteste Anziehpuppe der Welt durchs Kinderzimmer gefahren werden kann.
Ein anderer Hersteller, auch schon immer am Puls der Zeit, bietet derzeit allen Ernstes ein Katastrophen-Einsatz-Set mit gasmaskenbewehrten Feuerwehrmännern, Biomüllfässern und brennenden Häuserruinen an. Vermutlich gibt es demnächst auch das Original-Golfkriegsset und zum Dazukaufen den bärtigen Oberschurken und Schorsch Dabbeljuh für je 11 Euro 09 Cent.
Hahnebüchen hingegen ist es, dass ein Schokoladenfabrikant mit italienischem Namen und einer sicheren Hand für himmelsschreiend dämliche Fernsehspots und geschmacklose Produktverpackungen die Merchandisingrechte am Herrn der Ringe zugesprochen bekommen hat. J.R.R. Tolkien dürfte im Grabe rotieren, sähe er, dass seine Gestalten zu kümmerlichen Witzfiguren verkommen, die sich, scheel umblickend, in jedem 7. Ei verschwinden. Aber eine Gesellschaft, die von einem Kanzlerimitiator neuvertonte spanische Retortenmusik auf Platz eins der Singlecharts kauft, wird wohl auch palettenweise Schoko-Eier aus dem Supermarkt schleppen, um endlich Frodo der Sammlung hinzufügen zu können.
Das Ende der synapsenzerätzenden Konsumberieselung bilden übrigens Vorschauen auf solch anspruchsvolle Unterhaltungssendungen wie Traumhochzeit oder Peter Steiners Komödienstadl. Im Vergleich zur grellbunten geballten Geschmacklosigkeit der Kinder-Konsumprodukte stellen diese jedoch nachgerade eine Erholung dar.
Rauchen
Das Rauchen ist, wenn auch nicht unbedingt gesundheits- und lebensfördernd, so doch auf jeden Fall eine kommunikative Tätigkeit, die das Schließen von Freundschaften erleichtert und "Übereinkünfte ohne Worte" herbeiführt. Neidvoll blicke ich als Nichtraucher auf die vielen fröhlichen Menschen, die sich zunächst einfach nur auf der Straße begegnet sind, und wo sich aus einem dahingerotzten "Hastemal ne Fluppe" aus der Anonymität unserer Großstädte eine dauerhafte Bindung entwickelte. Wildfremde Menschen werden vom feinen Tabakrauch aneinandergeschweißt, wenn sie sich zum Zigarettenkonsum zu zehnt auf den Balkon zurückziehen. Und wie groß ist erst der Zusammenhalt, wenn der Balkon in Folge der Überlastung mit Rauchern und Bierkästen in die Tiefe stürzt! So viel Verbundenheit lernt man als Nichtraucher gar nicht kennen - es sei denn, man stand gerade unter dem Balkon.
Doch darüber hinaus zeigt die Tätigkeit des Zigarettenrauchens vor allen Dingen, in welch hohem Maße die Raucher ihr Verhalten aufeinander abstimmen. In schlecht belüfteten Lokalitäten, beispielsweise Eisenbahn-Raucherabteilen oder dem Berliner Café "San Remo Upflamör", ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein faszinierendes Phänomen zu beobachten, sofern im Kreise der Raucher auch ein Nichtraucher zu finden ist. Das Phänomen könnte betitelt werden mit "Einer raucht immer". Nachfolgende Abbildung verdeutlicht den Vorgang.
Wir nehmen drei Raucher (R1, R2, R3) sowie einen Nichtraucher (N). Sobald R1 mit seiner "West" fertig ist, steckt sich mit allerhöchstens zweiminütiger Verzögerung R2 seine "Pall Mall" an, und wenn diese zu einem Aschehäuflein zusammengeschrumpft ist, greift R3 in die Hemdentasche, um sich mit dem Zippo-Benzinfeuerzeug die wohlverdiente "Gauloise" anzustecken. Ist von dem französischen Tabakstäbchen nichts mehr übrig, ist es Zeit für die nächste West von R1 und so weiter - ein, wie gesagt, faszinierendes Phänomen. Wie die Zahnräder einer schweizer Präzisionsuhr ineinandergreifen, so vereinigen hier sich drei Individuen zu einem einzigen Kettenraucher.
Nirgendwo sonst lässt sich ein so schönes Schauspiel über Stunden hinweg - im Zweifelsfalle bis zur Bewusstlosigkeit des Nichtrauchers - beobachten. Nicht beim Torteessen (hier ist eher eine Gleichzeitigkeit des Konsumvorgangs gegeben, bei dem auch die Pausenzeiten mehr oder minder parallel, aber auf keinen Fall so fein abgestimmt sind); und auch nicht beim Trinken (und wenn, dann ist dies für nicht am Alkoholkonsum beteiligte Außenstehende dann doch von weniger Interesse und führt höchstens zu erhöhtem Kellner-Gerenne).
Allerhöchstens, wenn mit gewissen Grünpflanzenextrakten angereicherte selbstgedrehte Zigaretten konsumiert werden, lässt sich eine vergleichbare Kollektivität des Tuns beobachten, aber diese wird ja gewollt herbeigeführt und lässt sich mit der ganz unbewusst entstehenden Rauchkette beim Genuss normaler Zigaretten gar nicht vergleichen.
Ich musste jedenfalls am nächsten Morgen meinen Pullover geradezu mit einem spitzen Stock in die Waschtrommel bugsieren, so hatte sich das von R1, R2 und R3 in die Luft geblasene Nikotin in den Fasern festgesetzt. Elende Pafferei.
Kaffeefiltervariationen
Dem Verbraucher muss man aber auch alles erklären, scheint sich Fa. Goldhand zu denken. Warum sonst würde sich auf der Rückseite der Superbilligkaffeefilterpackung eine solche Anleitung finden?
Im Band "Machts gut und danke für den Fisch" der Anhalter-Trilogie verzweifelt Wonko der Verständige über eine Bedienungsanleitung für Zahnstocher. Im Grunde genommen handelt es sich bei einer Verfahrensanweisung zum Einsatz von Kaffeefiltern ein ähnliches Phänomen kollektivzivilisatorischen Wahnsinns.
Oder käme der Konsument sonst auf falsche Gedanken?
Ruhe und Frieden
Sit-ZEN-bleiben: S-Bahn-Fahren als meditative Übung
Der Mann auf der Sitzgruppe schräg gegenüber hat sich die Stereoanlage aus dem Ohr gepult und beschallt nicht mehr den ganzen Waggon mit faschistoidem Trashdeathmetal. Der Handyschwätzer auf der Bank hinter mir hat aufgehört, von billigen Flügen in Spanien zu schwafeln; dafür hat ein anderer sein Taschentelefon hervorgeholt und konstatiert pragmatisch: "Doch, ich komme. Ich weiß noch nicht wann, aber ich komme."
Wir sitzen fest. Stagnation auf niedrigem Niveau zwischen den S-Bahnhöfen Wedding und Gesundbrunnen. Eisenbahnerstreik, Signalstörung, 20 Gedenkminuten für den unbekannten Fahrkartenkontrolleur? Die Spekulationen schlagen hoch, derweil das Genörgel erstaunlicherweise ausbleibt. Schließlich scheint die Sonne, es ist Montag, kurz vor 19.00 Uhr, der Wagen ist halbleer und quengelnde Kinder sind auch nicht an Bord. Niemand scheint es eilig zu haben.
Der Zugführer ist auf dem unterwürfigen Trip und entschuldigt sich wortreich für das Herumgetrödel, ungeduldige Fahrgäste seien zwischendurch ausgestiegen, und nun ginge es nur ganz vorsichtig voran. Ja wenn es denn ginge. Doch nur der Wind rauscht in den Blättern, auf der Straße rauscht der Individualverkehr, doch an den Insassen des Zuges rauscht nur die Zeit vorrüber und sonst gar nichts. Die Bahn bewegt sich keinen Zentimeter.
Immerhin, es könnte schlimmer kommen. Eine übermüdete Kita-Gruppe im Waggon, Regen, ein Brand im Nord-Süd-Tunnel. Immer positiv denken.
Der Zugführer betätigt zig mal hintereinander das Türschließsignal (tüü-dee-lüü! für Nichtberliner), schreit in die Sprechanalage "Bitte von den Türen weggehen, der Zug setzt sich in Bewegung", mit drei Ausrufungszeichen. Die Generatoren fangen an zu vibrieren, die Bremse wird gelöst, der Zug ruckt an und - - - steht. Weiter ausharren. Ungeduldige stecken die Köpfe aus den Fenstern (als ob es davon schneller ginge), die Coolen rascheln mit der Zeitung, die Klaustrophobischen werden nervös. Wieder das Lalüü der Türen. Wieder Fehlalarm.
Wer auf den Schienen spazieren geht, darf sich nicht wundern, wenn er sich im Jenseits als mehrteiliges Schiebepuzzle wiederfindet, denke ich gerade bei mir mit einem Anflug von Zynismus, Misanthropismus oder was auch immer, als das Wunder geschieht und tatsächlich doch Bewegung in die paar Hundert Tonnen Stahl und Resopal mit ein paar Leuten kommt. Es geht uns erlköniglich: Wir erreichen den (Bahn-)Hof mit Müh und Not. Ich steige aus. Zu Fuß wäre ich schneller gewesen.
Filmteams überall
Früher waren Dreharbeiten noch etwas Besonderes. Wenn das ZDF oder die ARD einen Fernsehfilm produzierten, oder gar für den jungen deutschen Film die Studios verlassen wurden, stand das sogar in der Zeitung. Schließlich gab es das nicht alle Tage, wenn ganz normale Straßen und ganz normale Häuser stille Statisten von Stars und Sternchen stellten. Schaulustige drängten sich an den Absperrgittern, nur mühsam zurückgedrängt von stolzen Schutzmännern.
Inzwischen ist es so weit gediehen, dass es schon eine Besonderheit ist, mal nicht über Kabel, Klappstühle und wichtige Westenträger mit Walkie Talkies zu stolpern, wenn man am Hackeschen Markt unterwegs ist. Wenn Straßenecken in gleißende Helligkeit getaucht sind, ruft niemand mehr die Feuerwehr, weil die Außerirdischen gelandet seien. Die Anwohner von Kollwitzplatz und Co. dürfen mindestens einmal die Woche ihre Autos in andere Stadtteile verbringen, um Platz für große weiße Lkws zu machen, die bis zum Dach mit Stativen, Scheinwerfern und sonstigem sauteuren Equipment vollgestopft sind.
Bereits Tage vorher weisen zerschrammte Halteverbotsschilder auf das kommende Ereignis hin, und wenn es dann so weit ist, mufft der unvermeidliche Verpflegungswagen erstmal alles mit dem Geruch der Glitzerwelt voll, der sich hier in Pommesfett oder Zwiebelduft äußert. Dann wird die Nacht zum Tag gemacht, bis die Szenen ab- und die Beteiligten durchgedreht sind. Hinterher erinnern Kreidemarkierungen und Müllberge an die 15 Sekunden Berühmtheit der ach-so-typischen Berliner Mietskaserne.
Wer arbeitslos ist und sich für einfallsreich hält, wird Location-Scout: er zieht mit Notizblock und Digitalkamera um die Ecken, um ebensolche (Ecken nämlich) zu finden, die nicht schon tausendmal über die Leinwände und Fernsehbildschirme geflimmert sind. Publicitysüchtige Zeitgenossen richten ihre miese kleine Plattenbaubude wie ein Fabrikloft in Mitte ein und locken Filmteams in ihre ferngeheizte Fickzelle, um kräftig Aufwandsentschädigung abzukassieren. Ampelmasten haben in Passantensichthöhe einen dicken Pelz von Abreißzetteln, die für zwielichtige Agenturen werben, mittels derer man als Statist zum Film gelotst wird. Dass das Foto für die Kartei 500 Euro kostet und diese Kartei von den Produktionsfirmen etwa genauso gern und oft genutzt wird wie das Telefonbuch von Papua-Neuguinea, das wird den hoffnungsvollen Celebrity-Azubis natürlich nicht gesagt.
Polizei, BVG und wahrscheinlich auch die BSR pflegen eigene Abteilungen zur Filmteambetreuung. Der echte Polizeibus mit echten Polizisten beim dramatisch gestellten Verkehrsunfall spült schließlich echtes Geld ins gebeutelte Staatssäckel. Eigentlich wäre es da doch naheliegend, die Filmrechte an der Berliner Haushaltsmisere exklusiv an die Constatin Film zu verkaufen. Dass das Rote Rathaus und die Bankgesellschaft Berlin nahezu Nachbarn sind, verringert den Produktionsaufwand, schließlich müssen dann nur 500 Meter Straße gesperrt werden. Die Constantin muss als Teil des agonischen Kirch-Imperiums schließlich auch aufs Geld schauen. Demnächst auf Video und DVD: Lando rennt - Mario Adorf gibt den Landowsky, Otto Sander spielt Eberhard Diepgen und die Laienspielschaar aus dem Abgeordnetenhaus spielt sich selbst. Wenn also bald Flatterbänder ums Rathaus gewickelt sind und Lkws in der Bonzenvorfahrt parken, sind das nicht unbedingt die Insolvenzverwalter, die die letzten beweglichen Güter zur Zwangsversteigerung abholen.
Haushaltsloch statt Sommerloch - Coming soon to a theatre near you.