Eine Minute Zivilisationsausfall
Vattenfall Europe Berlin (kurz: VEB) hat einen Brief an die Hauseingangstür geklebt. Man sei ja der tollste Stromlieferant überhaupt, aber leider, leider müsse man kommende Woche eben kurz mal den Saft abdrehen. Das ist so ungefähr die Quintessenz etlicher Zeilen Marketingeschwurbels, die hübsch um ein paar Lücken im Text (am ___ von ___ bis ___ für ca. ___) herum angeordnet sind.
Das Zeitfenster des geplanten Blackouts: Montag morgen zwischen acht und neun für eine Minute. Eine ganze Minute ohne Strom. Da wird dann also mein Nachbar, mit dem ich mir den Router teile, kurz mal seine Computerballerspiele unterbrechen müssen, die Kaffeemaschine wird vorübergehend aufhören zu röcheln, die ältliche Stereoanlage wieder einmal Uhrzeit und sämtliche Sender vergessen und möglicherweise der Radiowecker seinen Verpflichtungen nicht nachkommen.
Nur um Kühl- und Gefrierschrank muss man sich keine Sorgen machen, das weiß auch der schwedische Strommoloch und gibt, um sein Callcenter vor Anrufen besorgter Hausfrauen zu verschonen, qua Fußnote den beruhigenden Hinweis, dass mit Kühl- und Gefriergut nichts passiere, lasse man während der Stromunterbrechnung einfach die Kühlschranktür zu. (Zumal es ja dann sowieso nichts bringt, nachschauen zu wollen, ob die Beleuchtung wirklich aus ist.)
Der wahre Grund für die Abschaltung wird sowieso eine kleine Machtdemonstration in Zeiten der Strommarktliberalisierung sein. Marode Hochspannungsmasten, die unter der nächsten Schneelast zusammenbrächen, sucht man schließlich im Kiez vergebens. Und als Vattenfall noch Bewag hieß und legaler Monopolist war, haben die auch nicht einfach mal ihre ganz, ganz große Sicherung herausgedreht. Zumindest nicht in Friedrichshain bzw. in den 13 Jahren, in denen ich dort wohne. Schön, repräsentativ ist das jetzt nicht direkt, aber verdächtig ist es doch. Denn auf diese Weise kann der Stromschwede ganz einfach zeigen, wo der gelbe, grüne, rote und violette Strom der ganzen kleinen Krauter herkommt: auch nur von ihm. Wer also achselzuckend vor dem Wattenvallwisch steht und denkt: „Was geht’s mich an, ich bin doch bei nuon“, wird dann am Montag morgen - Überraschung! - genauso wenig den elektrischen Wasser- oder Eierkocher vertrauen können wie der Rest der Hausbewohner auch.
Dafür geht dann VEB ein doch recht hohes Risiko ein. Wer erinnert sich nicht dunkel (!) an den Stromausfall im August 2003, während dem halb Nordamerika und Kanada nach ein bisschen Herumgespiele an den Leitungen für einige Tage komplett vom Netz gingen. So wird es auch in Berlin kommen! Friedrichshain wird der erste Dominostein sein, und dann fallen Kreuzberg, Mitte, Schöneberg bis herunter nach Zehlendorf und Potsdam. Also schnell noch Diesel fürs Notstromaggregat bunkern!
Am Tag darauf wollen übrigens die Berliner Wasserbetriebe eine Stunde lang ihr kostbares Nass ganz allein für sich behalten. Nur die Gasag plant bislang noch nicht, unter fadenscheinigen Gründen kurz mal ihre Pipelines zuzustopfen. Aber was nicht ist, kann ja noch kommen. Insbesondere, wo nun auch der Gasmarkt freigegeben werden soll.