Ersatzhandlungen und Leerlaufprozesse

Verstöße. Nachmittags die Eltern besucht. Ist glaube ich faktisch illegal, weil ich ja nicht in deren Haushalt wohne und wir folglich zu Dritt waren. Zwecks Ansteckungsrisikominimierung auf Abstand im Garten gesessen; es war aber auf Dauer zu kalt. Wir sind vergleichsweise priviligiert. Die Eltern wohnen in einem Häuschen auf einem großen Gartengrundstück, müssten also auch bei totaler Ausgangssperre für 65+ nicht ausschließlich inhäusig vor sich hin vegetieren. Ich wiederum bin (noch) liquide, habe vergleichsweise überschaubare laufende Kosten (wobei Miete und diverse Versicherungen allerdings schon ~1k€ jeden Monat auffressen) und muss nur mich und meine Katze versorgen, bin seit je her Home Office-Arbeiter und Freund der sozialen Distanzierung (vulgo Couchpotato/Stubenhocker). Trotzdem trägt die gegenwärtige Situation einhellig nicht wirklich zum Wohlbefinden bei.

Immerhin. Seit dem Ausnahmezustand erfreut sich nicht nur Antville wieder regerer "echter" Beteiligung (zur Spam-Thematik plaudere ich vielleicht mal demnächst aus dem Nähkästchen), auch z.B. im Techniktagebuch ist deutlich gesteigerte Aktivität zu verzeichnen (wenngleich auch sehr monothematisch), und bei dem von mir betreuten Projekt WBCE CMS ist im Forum ebenfalls gefühlt mehr los. Dass der Preis für derlei Errungenschaften exorbitant hoch ist, steht allerdings außer Frage.

Schlechtes Wetter ist gutes Wetter. Es soll morgen kalt und ungemütlich werden, und auch die nächsten Tage sind wohl hinsichtlich Temperatur bestenfalls durchwachsen. Ein Glück.

Einkäufe. Zum dritten Mal für die betagten Eltern eingekauft. Es beginnt eine gewisse Routine einzukehren. (Sagt man das so?) Beim Netto gab es sogar 4-lagiges Toilettenpapier (oho), aber dafür keine Salatgurken oder sonstige Salatpflanzen. Auch der Paprika ist schon spürbar teurer geworden. Rückfahrt. In der Abenddämmerung unter klarem Himmel durch leere Straßen, Soundtrack: das Album Protection (en.wikipedia.org) von Massive Attack. Es passte.

Weitere technische Neuerungen. J. hat als Ersatz für einen nunmehr natürlich ebenfalls stillgelegten "subkulturellen" Realwelt-Treffpunkt einen regelmäßigen Jitsi-Video-Hangout organisiert. (Jitsi ist ein überraschend einfach funktionierender Online-Dienst für Video-Chats - kostenlos, ohne Werbung, ohne Account/Registrierung.) Täglich um 19 Uhr klinken sich dort eine Hand voll Leute ein und plaudern. (Was eine erfrischende Abwechslung ist, wenn sonst nur die Katze für unmittelbare Gespräche verfügbar ist.)

Webcams sind natürlich auf Amazon ausverkauft, ich wusste aber, dass es im Haushalt meiner Eltern noch ein nicht mehr benutztes Exemplar gibt, und beim Einkaufsvorbeibringen habe ich mir dann besagte Kamera aushändigen lassen und bei mir nach relativ kurzer Zeit auch zum Laufen gebracht. Das Bild ist gut, nur das eingebaute Mikro scheint eher schwachbrüstig zu sein, so dass es noch weiteren Kabelgewürges bedarf.

Im Jitsi-Chat geht es dann relativ schnell auf das Thema Minetest. Minetest ist ein Open-Source-Fork/Klon von Minecraft, also eine klötzchenförmige Umgebungssimulation, in der es zu schürfen und zu bauen gilt. J. hat dafür einen eigenen, privaten Server aufgesetzt, man ist dort also unter sich. Es gibt aber natürlich auch hunderte öffentlicher Welten.

Als absoluter Nichtspieler schaue ich mir zunächst interessiert eine halbe Stunde das Tun und Machen von J. an, der - auch dies geht - über Jitsi Blick auf seinen PC-Bildschirm gewährt, und lade mir anschließend das Spiel herunter. Auch das könnte dann also demnächst ein Zeitvertreib werden.

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Klopapiererfolg. Nachmittags war ich dafür losgezogen. Und siehe: Penny hatte wohl gerade zuvor eine Lieferung bekommen, und es war sogar noch eine halbe Palette "Happy End" (!) 3-lagig im Regal. Aber: Jeder nur ein Kreuz, pardon, jeder nur ein Paket! (Am Tag davor hatte ich erfolglos versucht, dem raren Gut bei Rossmann, Budnikowski, Lidl und Netto-rot habhaft zu werden, kann mich also schon sehr glücklich schätzen, überhaupt welches ergattert zu haben.)

Die Kassenschlange wand sich bis zum (aus mir unerfindlichen Gründen immer noch befüllten) SB-Brotregal, also quer durch den Laden, was ich nicht sofort erkannt hatte und mir folglich einen Rüffel einer schlangestehenden Person einbrachte.

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Und sonst? Wenn ich so lese, dass in dutzenden Krankenhäusern Masken und Desinfektionsmittel gestohlen werden; Betrüger sich in Schutzanzüge hüllen, um sich unter dem Vorwand, als angebliche Gesundheitsamtsmitarbeiter_innen Abstriche vornehmen zu müssen, Zutritt zu fremden Wohnungen verschaffen, um diese auf Wertgegenstände zu flöhen; telefonische Enkeltrickbetrüger die Zeichen der Zeit erkennen und von den Angerufenen dann "Geld für Medikamente" fordern; ausgangssperrenbedingt leere Straßen für illegale Autorennen herhalten; für Hacker und Scammer aufgrund der vielen ungeübten Homeoffice-Arbeiter goldene Zeiten anbrechen; vom Agieren eines Trump, eines Bolsano und ähnlicher Kaliber gar nicht zu reden: wenn ich das so lese, wird mir erst recht ganz anders.

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Dieser Markdown-Editor von Antville ist komisch. Hätte jetzt schon zweimal beim Editieren fast den halben Text gelöscht. Strg-Shift-Cursor sollte man hier also besser nicht zum Springen und Markieren verwenden.

Bislang hatte ich mich Messengerdiensten standhaft verweigert; Whatsapp und Konsorten kamen mir nicht aufs Smartphone. Teils aus Sorgen um die Daten, teils, weil sich mir die Notwendigkeit nicht so recht erschließen wollte.

Nun also dann eben doch, wir alle werden ja vieles in den nächsten Monaten umorganisieren und virtualisieren müssen.

Und schon Minuten nach der Einrichtung kamen dann auch gleich freundliche Hinweise, dass a) der gewählte Messenger X zwar ganz nett sei, aber Messenger Y sei noch viel besser und ich solle mir den doch einrichten. Und b) sei mein Profilbild für den gegebenenfalls erfolgenden geschäftlichen Einsatz des Messengers ungeeignet - interessanterweise teilte mir das jemand mit, der für sich ein schätzungsweise 5 Jahre altes, verwaschenes Foto eines rotgesichtigen Babys verwendet.[1] Nun erschließt sich mir zwar nicht, was gegen ein Profilfoto spricht, das meine Katze zeigt, schließlich: Katzenbilder gehen eigentlich immer. Und ob ich mit meinen dreieinhalb Kunden zukünftig über diesen Kanal zu kommunizieren gewillt bin, bleibt abzuwarten, aber um des lieben Friedens – und der Anonymität meiner Katze – willen habe ich das Bild dann halt wieder gelöscht.

War sonst noch was? Heute Vormittag mit schlechtem Gewissen ein Mal um den Block gegangen. Es machte keinen Spaß, die Stimmung war recht merkwürdig. Nun steppt hier im Viertel zwar auch sonst nicht der Bär (reine Wohngegend), aber mir kam es schon deutlich stiller und ruhiger vor als sonst.

Mehr als wie zu zweien darf man nicht mehr auf die Straße, wurde gerade verkündet. („Ich bin zwei Öltanks!“) Aber immerhin darf man noch raus für kurze Spaziergänge. Noch.

[1] Der Widerspruch fiel der betreffenden Person dann allerdings selbst auf. Das Babyfoto wich dann einem Foto von einem tropischen Wasserfall, der in der Thumbnailansicht aussieht wie eine Regenrinne.

Es ist noch ungewohnt. Doch vermutlich werde ich, werden wir uns an diesen Zustand gewöhnen müssen, es wäre vermessen anzunehmen, schon in vier Wochen wäre plötzlich alles wieder wie früher.

Die Pandemie erstens ohne Zwangsaufenthalt auf der Inte bzw. zweitens überhaupt zu überstehen kann genau so wenig als selbstverständlich angenommen werden wie nicht unmittelbar von der beängstigenden Mortalitätsrate betroffen zu sein (Stichwort Eltern 80+).

Das Zeitalter der Stubenhocker hat begonnen, oder auch: plötzlich weiß ich, wie sich ein Haustier fühlt. Meine arme Katze, für die ist das schon seit 9 Jahren so wie für mich seit 9 Tagen.

Jeder "verlorene" (im Sinne von: zuhause+allein vertrödelt) Tag ist ein gewonnener Tag.

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