Ersatzhandlungen und Leerlaufprozesse
Donnerstag, 27. April 2006

Für eine Hand voll Wodka

Powerpoint ist etwas für "nerdige Wissenschaftler, BWLer und Marketingmenschen", die sich so „untereinander überhaupt nur verständigen können". Karaoke ist etwas für überdrehte Asiaten, die damit so richtig die Sau rauslassen können (inzwischen auch in Nordkorea). Und beides zusammen ist ein innovatives "Apès-Bunny-Format", das es in die Berichterstattung von Spiegel online, Berliner Zeitung und taz geschafft hat und sogar schon zum Gegenstand wissenschaftlicher Studien herangereift ist.

Genug Unternehmen sind so unvorsichtig, Ihre Präsentationen vollkommen offen zugänglich im Internet aus der Hand zu verlieren. Wessen Kernkompetenz im Clipartauswählen und Listenpunktsetzen besteht, der macht die Rechnung ohne Google und glaubt, sein internes, vertrauliches Dokument würde nicht gefunden, weil es ja nicht verlinkt ist. 31.800 Ergebnisse des Suchmaschinenmolochs sprechen da aber eine ganz andere Sprache. Und bilden den Nährboden für eine originelle Freizeitveranstaltung.

Die sieht dann so aus: Wie bei der ZDF-Hitparade oder der Wahl zur Weinkönigin gibt es eine Jury, ein Publikum und Titelbewerber. Die findigen Riesenmaschinisten haben besonders schöne, absurde und unverständliche Dokumente zusammengetragen, mit einer Skala von leicht (1 Stern) bis superschwer (10 Sterne) bewertet und den Titel nebst mehr oder minder aussagekräftiger Inhaltsangabe auf einem Programmzettel gesetzt. Wer mutig ist, trägt seinen Namen und die bevorzugte Wahnsinnspräsentation ein und findet sich kurz darauf auf einem zur Bühne umfunktionierten Couchtisch wieder, wo er dann, von einem großzügig eingeschenkten Gratiswodka befeuert, mindestens 5 Minuten dem gestalterischen Wüten von Meeresbiologen, Wirtschaftsförderern, Volksschullehrern oder Humortheoretikern ausgesetzt ist und aus dem Stegreif drauflospräsentiert.

Die Ergebnisse sind durchweg originell. Über ein abseitiges Thema ohne Vorbelastiung durch Hintergrundwissen zu referieren, selbst nicht zu wissen, was auf der nächsten Folie steht, erbarmunglos vorwärts gepeitscht von der verinnenden Zeit, und mehr zu leisten als nur die Listenpunkte abzulesen: Eine Herausforderung, die die Teilnehmer zur Freude des Publikums so gut bewältigt haben, dass am Ende nicht drei, sondern acht Preise vergeben wurden.

Bei meinem Parforceritt durch eine Vier-Stern-Päsentation zum Thema Humor und Didaktik galt es, vollkommen überfrachtete Folien zu meistern und innerhalb von zwei Sekunden das wesentliche aus Schätzungsweise einer DIN A4-Seite Text in Normalgröße herauszupicken. Na, oder halt überhaupt irgend etwas. Zur Erholung war dann meist schon die folgende Folie wieder von jämmerlicher Sprödheit und Inhaltsleere (unverständliche Pfeildiagramme, abgetippte Bartwitze). Die Schlusspointe bestand darin, dass es keine gab: Die Präsentation hörte einfach auf. Immerhin, vierter Platz.

Wer also die Vielfalt des Medienschaffens von Vertrieblern erkunden, schon immer mal etwas über die China-Kontakte der IHK Bochum erfahren oder "Farbenfrohe Vollweiber an der Volksschule" kennen lernen wollte, hat am gestrigen Mittwoch eine wundervolle Gelegenheit dazu leider verpasst. Glücklicherweise liegen ja noch 31.792 unverwurstete Präsentationen im Internet herum. Genug Rohstoff für das nächste, hoffentlich bald stattfindende PPT-Karaoke.

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